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Meine musikalische Sozialisation, zweiter Teil von 1989 bis 2000
In der „analog“ 03/22 wurde der erste Teil meiner musikalischen Sozialisation in der DDR veröffentlicht, verbunden mit der Drohung es würde noch einen zweiten Teil geben!
Was versteht man unter den Begriff – Sozialisation. Gemeint ist, der lebenslange Erwerb von Werten, Normen, Verhaltensmustern und Einstellungen des Individuums welcher zur Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit führt. In Bezug auf einen musikalischen Geschmack liegen wohl prägende Erfahrungen und Eindrücke zu Grunde.
Im ersten Teil meiner musikalischen Prägung bis 1989 in der DDR war der Einfluss trotz des Empfangs der einschlägigen Westberliner Radiosender eingeschränkt.
Nun eröffnete sich die übergroße Vielfalt der Musikgenre auch für mich. Die erste neue Platte, die ich mir in der Wendezeit kaufte, war Lisa Stansfield „Affection“ aus 1989 auch heute noch eine hörenswerte Scheibe.
Dann ergab es sich das in der Probebühne des ansässigen Theaters meines Studienortes ein Tom Waits Abend mit Film und Musikausschnitte veranstaltet wurde. Bis dahin hatte ich keinerlei Berührungspunkte mit dem Musiker gehabt, sofort war ich von dem schrägen Typen und seiner Musik elektrisiert, so dass ich mir wendig später „Blue Valentin“ aus 1978 und „Franks wild Years“ aus 1987 zulegte. Auch heute bin ich noch großer Tom Waits Fan und höre regelmäßig seine Musik.
Anfang der 1990iger stöberte ich regelmäßig durch die Wühltische des Kaufhauses, in dem offensichtlich die Überschüsse aus den alten Ländern feilgeboten wurden. Dies waren die bekannten Nice Price oder Special Price Angebote vermischt mit Gebrauchtware oder Lagerüberschüssen. Hier kaufte ich oft Platten nur auf Grund der Cover-Gestaltung, ohne die Musiker zu kennen. Das hatte beim ersten Abspielen einen besonderen Reiz.
Zwei bedeutende Alben, die so in meinen Besitzt kamen, waren zum einen Rickie Lee Jones “Rickie Lee Jones“ aus 1979 und Paolo Conte „The Best Of Paolo Conte” aus 1986. Beide Künstler kannte ich, bevor ich die Scheibe auf den Plattenteller legte, nicht. Und es gab später nie wieder diese überwältigenden Aha-Erlebnisse, die diesen zwei Scheiben bei mir auslösten. Beide LPs haben mich umgehauen und meinen musikalischen Geschmack nachhaltig beeinflusst. Die Rickie Lee Jones und Paolo Conte Platten, die ich damals im Wühltisch entdeckte, kosteten nicht mehr als 5 bis 10 DM. Heute habe ich die Conte Platte über DISCOGS in sehr guten Zustand erworben und habe dafür das 10fache bezahlt. Es war ein Weihnachtsgeschenk für meine Tochter, der ich zuvor zum Einzug in die neue Wohnung einen Bluetooth Plattenspieler geschenkt hatte. Conte begleitet mich seit der Entdeckung auf dem Wühltisch bis heute. In den folgenden Jahren besuchte ich Konzerte und kaufte einige Platten.
Heute stehen 19 Alben von ihm im Regal.
Als junger Student ging ich auch in die einschlägigen Clubs vor Ort.
Ich hatte einen guten Draht zu einem angesagten DJ,
der auch bereits zur Wendezeit mit Vinyl arbeitet.
Er legte ausschließlich Black-Music auf. Dort hörte ich zum ersten Mal Musik
von Adeva und The Chimes. Neben einigen Singles und EPs gibt es nur ein
Album der niederländischen Band „The Chimes“ aus 1990. Dieses Album traf mich musikalisch mitten ins Herz und ging zudem in die Beine. Auch heute noch eine super Black-Music Scheibe in leider nur durchschnittlichem Klang aber dafür mit großem Spaßfaktor.
In dieser Zeit, Anfang der 90iger kaufte ich meinen ersten CD-Player. In der Annahme, wie alle sagten, das sei der klangliche Hauptgewinn. Nur leider konnte sich der Player musikalisch kaum gegen meinen DDR-Plattenspieler behaupten. Was war da nur los? Das Thema CD wurde dann durch den Erwerb eines Thorens TD 146 MKVI mit Goldring Tonabnehmer geklärt. Der CD-Player machte dann keinen Stich gegen den Thorens mehr. Nach dem Thorens folgte ein Roksan Xerxes mit Artemis Arm und EMT-Tonabnehmer und es wurde klar welches musikalische und klangliche Potenzial in der schwarzen Scheibe steckte. Die Nadel war gesetzt und ich bin bis heute nicht davon losgekommen.
Was beeinflusste mich musikalisch vom Anfang der 90iger Jahre bis ins Jahr 2000 noch? Ich denke meine musikalische Sozialisation war da im Wesentlichen beendet.
Tom Petty and the Heartbreakers “Into The Great Wide Open” aus 1991
war dann die Platte, die ich immer und immer wieder spielte.
Kurz darauf erschien das Mega-Album von Dead can Dance
“Into the Labyrinth”.
Bis dahin noch wie gehörte
hypnotische Klanglandschaften,
die mich komplett in den
überragenden Klang eintauchen
ließen. Bis heute für mich das mit
Abstand beste Album von Lisa Gerrard und Brendan Perry.
Im Jahr 1994 erschienen zwei Alben, die mich stark prägten, zum einen „Grace“ von Jeff Buckley und Portisheads „Dummy“.
Allein die Buckley-Version „Hallelujah“ von Leonard Cohen rechtfertigt den Kauf diese großartigen viel zu früh verstorbenen Künstlers. Mit Portishead „Dummy“ trat die elektronische Musik erneut in mein Leben. Eines der Besten, wenn nicht das Trip-Hop Album überhaupt. Dieses geniale Album wird nicht nur mich tief beeindruckt haben.
Zwei Jahre später erschien Everything But The Girl “Walking Wounded”. Ein abwechslungsreiches Album zwischen Drum&Bass, House und Downbeat Nummer. Für mich die Entdeckung von Tracey Thorn. 1997 wurden erneut zwei für mich bedeutende Alben veröffentlicht - Radiohead „OK Computer“ und Van Morrison „The Healing Game”. Letzteres ist und bleibt für mich das beste Van Morrison Album überhaupt. Ab dann interessierte ich mich stark für den Granden aus Nordirland und legte mir 18 Alben des Weißen mit der schwarzen Blues-Stimme zu. Das folgende Jahr 1998 hielt wiederum zwei für meinen Geschmack besondere Alben bereit. Elliott Smith mit „XO“ beeindruckte mich tief und veranlasste mich die Reissues von „Roman Candle“, „Elliott Smith“ und „Either/Or“ zu kaufen. Leider ist der brillante Musiker bereits 2003 im Alter von nur 34 Jahren verstorben.
Den zweiten bedeutenden Aufschlag in diesem Jahr machten Calexico mit „The Black Light“. Die Mitbegründer des Tex-Mex Stils die in den Anfangsjahren zu Recht als eine der besten Live-Bands galten begeisterten mich von Platte wie im Konzert. Leider wurden die Konzerte über die Jahre etwas beliebig, was vielleicht meine heutige Distanz zur Band begründet. Mit dem Jahr 2000 will ich meinen Soundtrack beenden, was nicht heißt, dass ich nicht danach wie auch heute noch auf der Suche nach großartiger, spaßbringender Musik bin. Das ist für mich das Entscheidende, der Spaß beim Musikhören. In 2000 veröffentlichte Ryan Adams sein Album „Heartbreaker“. Dieses geniale Werk war als 2015iger Limited Edition eines meiner Beiträge zum Vinylquartett der „analog“ und wurde in Summe vom Quartett mit 2+ für Musik, Klang und Vinyl bewertet. Das hat das Album auf jeden Fall verdient.
Wer jetzt klassische Rockalben vermisst weiß auf Grund der letzten Zeilen, dass mir das bis auf vereinzelte Ausnahmen nicht wirklich Spaß bringt.
Die 10 Alben in den 1990igern gekauften Alben, wurden in der Zeit der Vinyl-Depression oft nur in geringer Stückzahl veröffentlicht und erzielen heute bei Discogs gute Preise. Die Alben von Tom Petty bis Ryan Adams haben heute einen Discogs-Mittelwert von 939,- €. Ausgegeben habe ich in den 1990igern sicher nicht mehr als 300,- DM, auch ein netter Aspekt!
Entdeckungen im Studium:
Lisa Stansfield „Affection“ aus 1989
Tom Waits „Franks wild Years” aus 1987 wie “Blue Valentin” aus 1978
Rickie Lee Jones “Rickie Lee Jones“ aus 1979
Paolo Conte „The Best of Paolo Conte” aus 1986
The Chimes „The Chimes“ aus 1990
Die Zeit der 1990iger:
Tom Petty and the Heartbreakers “Into The Great Wide Open” aus 1991,
Dead can Dance “Into the Labyrinth” von 1993,
Jeff Buckley „Grace“ aus 1994,
Portishead „Dummy“ aus 1994,
Everything But The Girl “Walking Wounded” von 1996,
Radiohead „OK Computer“ aus 1997,
Van Morrison „The Healing Game” aus 1997,
Elliott Smith mit „XO“ aus 1998,
Calexico „The Black Light“ aus 1998,
Ryan Adams „Heartbreaker“ aus 2000,















